Probleme mit dem Kurzarbeitergeld

2021-02-03 13:49:36

Probleme mit dem Kurzarbeitergeld
-arbeitsrechtliche und sozialrechtliche Fallstricke vermeiden-

Die Corona-Pandemie stellt die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt vor große Herausforderungen. Zahlreiche Betriebe kämpfen um ihre Existenz und Arbeitnehmer fürchten um ihren Arbeitsplatz. In dieser Situation ist das Instrument der Kurzarbeit das Mittel der Wahl, um ohne flächendeckende Kündigungen durch die Pandemie zu gelangen. Ende April 2020 hatten bereits 750.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Im Mai 2020 waren laut IFOR-Institut 7,5 Millionen Beschäftigte in Deutschland von Kurzarbeit betroffen.

Es kommt inzwischen vermehrt zu Rückforderungen von Kurzarbeitergeld oder es erfolgt nur eine vorläufige Zahlung. Mit diesem Kurzaufsatz sollen die arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Problemfelder in Kürze dargestellt werden.

A            Arbeitsrechtliche Grundlagen
Kurzarbeit ist die vorübergehende Verkürzung der betriebsüblichen regelmäßigen Arbeitszeit mit entsprechender Verminderung des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers bei anschließender Rückkehr zum vereinbarten Zeitumfang. Sinn und Zweck der Kurzarbeit ist die vorübergehende wirtschaftliche Entlastung des Betriebs durch Senkung der Personalkosten unter gleichzeitiger Erhaltung der Arbeitsplätze.

Da der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung hat, kann der Arbeitgeber die Arbeitszeit des Arbeitnehmers nicht einseitig herabsetzen. Die Einführung von Kurzarbeit bedarf daher einer besonderen Rechtsgrundlage.

Eine solche den Arbeitgeber zur Einführung von Kurzarbeit ermächtigende Rechtsgrundlage kann enthalten sein

  • in einem Tarifvertrag
  • in einer Betriebsvereinbarung
  • in einer Kurzarbeitsklausel im Arbeitsvertrag
  • durch Vereinbarung mit dem einzelnen Arbeitnehmer (Zustimmung zur Kurzarbeit) oder
  • in einer Änderung des Arbeitsvertrages aufgrund einer rechtswirksamen Änderungskündigung.

Sofern im Betrieb ein Betriebsrat besteht, muss der Arbeitgeber bei der Einführung von Kurzarbeit im Betrieb auch dessen zwingendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beachten.

Liegt keine wirksame Rechtsgrundlage für die Einführung von Kurzarbeit vor, so kommt der Arbeitgeber im erfüllbaren Arbeitsverhältnis gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug, wenn er – infolge der Kurzarbeit – die ihm durch den Arbeitnehmer angebotene Leistung nicht annimmt. Hat der Arbeitgeber durch unwirksame Anordnung von Kurzarbeit erklärt, in diesem Zeitraum keine weiteren Arbeitsleistungen anzunehmen, bleibt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug nach § 615 BGB in voller Höhe bestehen.

Bei einer gegenüber dem Arbeitnehmer rechtmäßig und wirksam angeordneten Kurzarbeit wird der Arbeitnehmer von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung (teilweise) befreit, verliert aber gleichzeitig in diesem Umfang (anteilig) seinen Vergütungsanspruch. Als Ausgleich für den (teilweisen) Arbeits-ausfall mit Entgeltausfall erhält der Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld.

Die Kurzarbeit endet nach Ablauf des in der tariflichen, betrieblichen oder einzelvertraglichen Rechtsgrundlage vereinbarten Zeitraums oder bei Wegfall ihrer Voraussetzungen.

B            Anspruch auf Kurzarbeitergeld
Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld setzt gemäß § 95 S. 1 SGB III voraus:

  • Nr. 1 – einen erheblichen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall, dessen Voraussetzungen in
    §96 SGB III im Einzelnen definiert werden,
  • Nr. 2 – die Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen, die in § 97 SGB III näher definiert
    werden,
  • Nr. 3 – die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen, die in § 98 SGB III näher definiert werden,
  • Nr. 4 – die Anzeige des Arbeitsausfalls, die in § 99 SGB III im Einzelnen geregelt wird und
  • schließlich in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen Antrag (§ 323 Abs. 2 SGB III), der innerhalb einer Ausschlussfrist (§ 325 Abs. 3 SGB III) gestellt werden muss.

Kurzarbeit kann in der Weise im Betrieb durchgeführt werden, dass während des Kurzarbeits-zeitraums entweder

  • die tägliche Arbeitszeit reduziert wird oder
  • der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum blockweise arbeitet, also in Teilzeiträumen nicht gearbeitet wird.

Ein dadurch bedingter Arbeitsausfall ist nach § 96 Abs. 1 SGB III erheblich, wenn

  1. er auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht,
  2. er vorübergehend ist,
  3. er nicht vermeidbar ist und
  4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist; der Entgeltausfall kann auch jeweils 100 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betragen(sog. „Kurzarbeit Null“).

Den Arbeitgeber trifft gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 – 3 SGB III die Verpflichtung, den Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat, unter Beifügung einer Stellungnahme der Betriebsvertretung schriftlich oder in elektronischer Form anzuzeigen.

Das zur Bewilligung von Kurzarbeitergeld führende Verwaltungsverfahren ist zweistufig ausgestaltet:

Die Anzeige löst gemäß § 99 Abs. 3 SGB III zunächst die Pflicht der Arbeitsagentur aus, dem Anzeigenden (Arbeitgeber oder Betriebsvertretung) unverzüglich einen schriftlichen Bescheid (Anerkennungsbescheid) darüber zu erteilen, ob aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall (§ 96 SGB III) vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen (§ 97 SGB III) erfüllt sind.

Dem Anerkennungsverfahren schließt sich das Leistungsverfahren an, in dem - als zweite Stufe - jeweils für Zeiträume, die durch den Leistungsantrag (§ 323Abs. 2 SGB III) bestimmt werden, dem Arbeitnehmer zustehende Kurzarbeitergeld bewilligt wird. Zu beachten ist, dass der Leistungsantrag innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten zu stellen ist.

C            Rechtsfolgen unrichtiger Angaben – Rückforderungsverfahren

Gerade in der COVID-19-Pandemiesituation stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn sich nach Erlass des Anerkennungsbescheides herausstellt, dass die vom Arbeitgeber in der Anzeige nach § 99 Abs. 1 SGB X oder im Antrag nach § 323 Abs. 2 SGB III angegebenen Tatsachen und Umstände nicht vorgelegen haben oder sich nachträglich ändern.

Arbeitgeber sollten daher darauf achten, in der Anzeige über den Arbeitsausfall wahrheitsgemäße, vollständige und zutreffende Angaben zu machen. Treten die in der Anzeige über den Arbeitsausfall durch den Arbeitgeber erwarteten Tatsachen entsprechend der Anzeige ein, kommt nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung eine Aufhebung oder Änderung des Bescheides nach § 99 Abs. 3 SGB III nur nach den engen, Vertrauensschutz gewährenden Regelungen über die Rücknahme oder Aufhebung eines Verwaltungsaktes (§§ 45, 48 SGB X iVm § 330 Abs. 3 SGB III) in Betracht.
Der Anerkennungsbescheid nach § 99 Abs. 3 SGB III hat jedenfalls dann Bestand, wenn die vom anzeigenden Arbeitgeber in der Anzeige nach § 99 Abs. 1 SGB III mitgeteilten Tatsachen-behauptungen zutreffen und sich nicht im Verlauf der Kurzarbeit ändern. Rechtsirrtümer der Arbeitsagentur gehen zu deren Lasten.

Bei der Aufhebung von Anerkennungsbescheiden iSv § 99 Abs. 3 SGB III ist auch zu berücksichtigen, dass nicht der Arbeitgeber, sondern seine Arbeitnehmer die Leistungsempfänger des Kurzarbeitergeldes sind. Die Rücknahme eines Kurzarbeitergeld-Bewilligungsbescheides nach § 99 Abs. 3 SGB III mit Wirkung für die Vergangenheit setzt gemäß § 45 Abs. 4 S. 1 iVm Abs 2 S. 3 SGB X unrichtige Angaben und „Bösgläubigkeit“ bei den Begünstigten voraus. Begünstigte und Anspruchs-inhaber sind bei der Gewährung von Kurzarbeitergeld die Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber. Der Arbeitgeber wird lediglich als Verfahrensstandschafter für die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer tätig.

Es kommt bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Rücknahme oder Aufhebung des Anerkennungsbescheides nicht auf die Bösgläubigkeit des Arbeitgebers, sondern auf die Bösgläubigkeit der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer an. Diese sind jedoch in der Regel nicht bösgläubig und müssen sich eine Bösgläubigkeit und unzutreffende Angaben ihres Arbeitgebers grundsätzlich nicht zurechnen lassen, weil sie keinen Einfluss auf sein Verhalten haben.

Hat der Arbeitgeber jedoch durch eine der in § 45 Abs. 2S. 3 SGB X bezeichneten Handlungen vorsätzlich oder grob fahrlässig bewirkt, dass Kurzarbeitergeld durch die Arbeitsagentur zu Unrecht geleistet worden ist, so ist der zu Unrecht geleistete Betrag des Kurzarbeitgergeldes allerdings gemäß

  • 108 Abs. 3 S. 1 SGB III der Arbeitsagentur vom Arbeitgeber zu ersetzen.


Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Arbeitgeber die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dh nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, weil schon naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden.  Allein fahrlässig unrichtige Angaben des Arbeitgebers bei der Anzeige und Beantragung von Kurzarbeitergeld reichen nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch der Arbeitsagentur gemäß § 108 Abs. 3 S. 1 SGB III begründen zu können.


Ein Mitverschulden der Arbeitsagentur ist in entsprechender Anwendung von § 254 BGB zu berücksichtigen. Mitverschulden der Arbeitsagentur liegt zB vor, wenn der für die Leistungsfeststellung zuständige Sachbearbeiter Angaben ungeprüft übernommen hat, obwohl sich ihm erhebliche Zweifel an der Richtigkeit hätten aufdrängen müssen.

Unterlässt der Arbeitgeber schuldhaft die Anzeige nach § 99 Abs. 1 SGB III oder versäumt er schuldhaft die dreimonatige Ausschlussfrist des § 325 Abs. 3 SGB III für die Beantragung von Kurzarbeitergeld, macht er sich gegenüber dem Arbeitnehmer zivilrechtlich wegen Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht schadensersatzpflichtig.

D            Zusammenfassung
Aufgrund der millionenfachen Bescheide über Kurzarbeitergeld mit entsprechenden Leistungs-summen ist zu erwarten, dass die jeweiligen Leistungsbescheide auch schwerpunktmäßig von der Arbeitsverwaltung überprüft werden und eine erhebliche Anzahl von Aufhebungs- und Rückforderungs-Verwaltungsakten erlassen werden. Schwerpunktabteilungen haben sich in der Arbeitsverwaltung bereits hierfür gegründet. Aufgrund der Komplexität der Materie und der jeweils individuellen betrieblichen Situation ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Aufhebung bzw. Rückforderung gerechtfertigt ist oder sozialrechtlich angegriffen werden sollte.

In jedem Fall ist eine sachkundige Beratung in diesen Fällen zwingend erforderlich.

Für Rückfragen oder auftretende Aufhebung-bzw. Rückforderungsverfahren stehe ich Ihnen gerne zu Ihrer Verfügung. Für ein Erstgespräch stehe ich persönlich, telefonisch oder in Videokonferenz zur Verfügung.

 

Mirko Koch
Rechtsanwalt
Fachanwalt f. Sozialrecht
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Rechtsanwalt Mirko Koch
Rechtsanwalt Fachanwalt f. Medizinrecht
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