Kostenübernahme für die Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie

2021-02-03 13:49:36

Vorbemerkung
Sowohl die Legasthenie als auch die Dyskalkulie sind umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten d.h. Teilleistungsstörungen. Diese sind aber im medizinischen Sinne nicht als Krankheiten anerkannt, so dass zum Beispiel die gesetzliche Krankenversicherung nicht für eine kostenträchtige Therapie aufkommt. Erfahrungsgemäß muss mit einer Therapiedauer von mindestens 80 Stunden bei einem durchschnittlichen Stundensatz von 50,-€/Stunde gerechnet werden, wobei starke Preisschwankungen zu bemerken sind.

Wenig bekannt ist, dass bei diesen Teilleistungsstörung in bestimmten Fällen eine Kostenübernahme für die Therapie durch die Jugendämter möglich ist:

Als häufigster Fall für die Kostenübernahme einer Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie hat sich die Anwendung des §35a SGB VIII, also der sogenannten „Eingliederungshilfe” für Kinder und Jugendliche, herausgestellt.

Voraussetzung dieser Norm ist, dass bei einer diagnostizierten Dyskalulie/Legasthenie eine zusätzliche und längere schulische Förderung keinen Erfolg zeigt und als Folge der Teilleistungsstörung eine seelische Behinderung droht (sog. sekundäre Neurotisierung), in dem sich z.B. eine Schulaversion oder eine depressive Symptomatik ausprägt.

Ansatzpunkt für die Kostenübernahme ist also nicht die Teilleistungsstörung selbst – für die evtl. die Schule zuständig ist -, sondern das Drohen einer seelischen Behinderung als Folge der Teilleistungsstörung.

Was sind die „Arbeitshilfen für die Mitarbeiter der Jugendämter” ?
Die beiden Landesjugendämter Nordrhein-Westfalens (Landschaftsverband Rheinland bzw. Westfalen-Lippe) haben Arbeitshilfen zum einheitlichen Umgang mit dem § 35a SGB VIII entwickelt, die jedoch von den einzelnen Jugendämtern oft unterschiedlich gehandhabt werden. Es handelt sich dabei um amtliche Empfehlungen, die die abstrakten gesetzlichen Regelungen für die jeweiligen Sachbearbeiter in praktische Arbeitshilfen umsetzen sollen. Die Arbeitshilfe für die Jugendämter Nordrhein-Westfalens gibt es auf der Web-Seite des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe unter

http://www.lwl.org/lja-download/datei-download/Service/RS/RS_HzE/1167820934/1170417484_0/nr05_2007_Anlage_Arbeitshilfe_Endversion.pdf

Das Ziel der Arbeitshilfe ist, den Jugendämtern eine möglichst einheitliche und pragmatische Verfahrensweise bezüglich Zuordnung, Verfahren und Leistungen zur Verfügung stellen. Trotz dieser Arbeitshilfe ist leider oft ein sehr „individueller” Umgang mit den Leistungsanträgen festzustellen.

Die Zuordnung zum Personenkreis ist nach der Regelung des SGB VIII weiterhin eine Aufgabe des zuständigen Jugendamtes. Da eine Hilfe nach § 35a SGB VIII eine längerfristige Maßnahme über einen Zeitraum von 2-3 Jahren bedeutet, soll ein Hilfeplan gem. § 36 SGB VIII erstellt werden. Für die Ausgestaltung der Hilfemaßnahme ist von den Jugendämtern ein fachkundiger Arzt zu beteiligen.

Inwiefern die Vorgaben der Arbeitshilfe tatsächlich in der Praxis der Jugendämter umgesetzt werden, hängt von der Einstellung und Sachkunde der jeweiligen MitarbeiterInnen der Jugendämter und ihrer Vorgesetzten in den Kommunen ab. Hier empfiehlt sich die fachkundige rechtliche Begleitung der antragstellenden Familie durch einen auf dieses Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt.

Verfahren
In einer Einzelfallprüfung durch das Jugendamt muss festgestellt werden, ob das Kind durch seine festgestellte Teilleistungsstörung von seelischer Behinderung und sozialer Isolation bedroht ist. Hierfür wird das Jugendamt ein oder mehrere neutrale Gutachten verlangen.

Tipp:
Lassen Sie sich vom Jugendamt die Gutachter nennen, die das Jugendamt anerkennt und die Sie kostenfrei in Anspruch nehmen können.

Anträge nach §35a SGB VIII sind grundsätzlich einkommensunabhängig. Die Antragstellung ist vom Gesetz her an keine bestimmte Form gebunden. Allerdings muss der Antrag schriftlich gestellt werden. Einige Jugendämter geben Ihnen Formulare zur Antragstellung, um das Verfahren zu vereinfachen. Bevor das Antragsverfahren nicht mit einem schriftlichen Bescheid formell abgeschlossen worden ist, können Sie nicht davon ausgehen, dass die Kosten übernommen werden. Wichtig ist in jedem Fall, dass Sie den Antrag vor Beginn der Therapie schriftlich stellen. Sie können nicht davon ausgehen, dass die Kosten einer bereits begonnenen Therapie bei nachträglicher Antragstellung übernommen werden.

Tipp:
Lassen Sie sich den korrekten Eingang Ihres Antrags auf einem Doppel bestätigen oder schicken Sie den Antrag per Einschreiben. Bestehen Sie auf zügiger Abwicklung. Verlangen Sie eine schriftliche Entscheidung innerhalb einer vertretbaren Zeit (4-8 Wochen). Sofern die Voraussetzungen des §35 a SGB VIII vorliegen, besteht ein Rechtsanspruch auf die beantragte Kostenübernahme und nicht etwa lediglich ein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung der Verwaltung.

Gegen ablehnende Entscheidungen kann Widerspruch eingelegt werden. Sollte der Widerspruch ebenfalls abgelehnt werden, kann die Entscheidung mittels einer Klage zur Überprüfung durch das Verwaltungsgericht gestellt werden.

Empfehlungen, worauf Eltern im Antragsverfahren besonders achten sollten
Es gilt prinzipiell, dass es sich bei Kostenübernahmen nach §35a SGB VIII um Einzelfallentscheidungen handelt. Achten Sie also im Antragsverfahren darauf, dass Ihr Kind nicht einfach unter formale Kriterien oder gerichtliche Präzedenzfälle eingeordnet wird, sondern dass die besondere Lage und Problematik Ihres Kindes auch wirklich untersucht und berücksichtigt wird. Bringen Sie auch die Vorgeschichte der Teilleistungsstörung Ihres Kindes (Entwicklungsprobleme, Krankheiten usw.) zur Sprache und belegen Sie sie durch Aussagen und Befunde aus früherer Zeit sowie alle sonstigen Ihnen bekannten und Ihrer Meinung nach wichtigen Gesichtspunkte des Problems. Auch Befunde und Meinungen, die nicht von Medizinern oder Psychologen stammen, können das Bild vervollständigen - z.B.: LehrerInnen, ErzieherInnen aus dem Kindergarten, HeilpraktikerInnen, Verwandte, Bekannte, Freunde, Vereinskameraden, andere Betreuer, Bezugspersonen aus früheren Entwicklungsphasen und nicht zuletzt Ihre eigenen Schlussfolgerungen als Eltern.

Die Daten des Verfahrens fallen unter die Schweigepflicht. Lassen Sie sich nicht einreden, Ihr Kind bekäme durch die Kostenübernahme einen negativen „Stempel” aufgedrückt. Es geht nicht um das „Ob” der Behandlung, sondern darum, dass das Jugendamt die Kosten bezahlt.

Wenn Ihnen vom Jugendamt ein Therapeut für die Teilleistungsstörung genannt wird, der im Auftrag des Jugendamtes Behandlungen durchführt, sollten Sie auf der Grundlage Ihrer eigenen Kenntnisse prüfen und beurteilen, ob dies für Sie und Ihr Kind die richtige Maßnahme und der richtige Therapeut sein könnte. Sollten Sie zu dem Urteil kommen, dass Sie die Therapie für Ihr Kind nicht dort durchführen lassen wollen, so können Sie dem Vorschlag widersprechen, sofern Sie vom Jugendamt eine Kostenübernahme dem Grunde nach erhalten haben. Sie haben dann nämlich bei der Auswahl der Therapie eine gleichberechtigte Mitsprache (§36 SGB VIII).

Sollten Sie nach der grundsätzlichen Kostenübernahme durch das Jugendamt den Eindruck gewinnen, es würden Entscheidungen ohne ein vernünftiges Gespräch über Ihren Kopf hinweg getroffen werden, bitten Sie das Jugendamt um ein Hilfeplangespräch mit allen Beteiligten, Lehrern, Gutachtern, Therapeuten, Jugendamtssachbearbeitern, Eltern und evtl. dem Kind selbst. Nach §36 SGB VIII sind Eltern und Kind, gleichberechtigt mit den Fachleuten an der Planung der Maßnahme zu beteiligen. Ein „prozessorientiertes, transparentes Aushandlungsgeschehen” soll das Hilfeplangespräch sein - einen Versuch ist es wert, den der fachkundige Rechtsanwalt natürlich begleiten kann. Oft kann schon dadurch eine sachliche Gesprächsatmosphäre sichergestellt werden.

Behördengänge und Amtsverfahren wirken oft abschreckend. Sehr häufig werden Antragsteller dadurch entmutigt und geben auf. Die Begleitumstände und Einstellung mancher Sachbearbeiter, die diese Wirkung noch unterstützt, sollten jedoch niemanden davon abhalten, seine Rechtsansprüche geltend zu machen. Erst wenn Sie eine schriftliche Kostenübernahme oder eine Ablehnungsbegründung vorliegen haben, steht das Ergebnis des Verfahrens vorläufig fest. Gehen Sie Schritt für Schritt vor und lassen Sie sich keine zu langen Wartezeiten bei der Bearbeitung gefallen.

Sprechen Sie mich an, wenn Sie an einer fachkundigen Unterstützung im Antrags-, Widerspruchs- oder im Klageverfahren interessiert sind. Vor jeder Beauftragung werde ich Sie im Übrigen klar und eindeutig über die anfallenden Kosten der anwaltlichen Tätigkeit informieren.

Ich helfe Ihnen sich für die berechtigten Interessen Ihres Kindes stark zu machen.


Kontakt

Rechtsanwalt Mirko Koch
Rechtsanwalt Fachanwalt f. Medizinrecht
Friedrich Ebert Str. 12, 59425 Unna
Email: This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it.
Tel.: 02303-2655
Auch Skype nach Anfrage möglich.

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